AfD im Höhenrausch: Huch, die Rechten kommen!

Auf dem Land und in der Stadt feiert die AfD Erfolge. Die Aufregung ist groß – vor allem derjenigen, die den Rechten Tür und Tor öffneten.

Eine Hand hält bei einer Kundgebung gegen eine AfD-Veranstaltung ein Schild mit der Aufschrift „Die AFD ist keine Alternative“ in die Höhe

Alternativlos, oder? Foto: Silas Stein/picture alliance

Hahaha, die Rechten kommen! Auf dem Land und in der Stadt, überall! Auweia! Die Aufregung ist groß. Vor allem derjenigen, die den Rechten Tür und Tor öffneten. Deutschland, ein Meer von Krokodilstränen. Könnte lustig sein, wäre es nicht so gefährlich – aber eben nicht für alle. Die Ignoranz treibt einen Kanak wie mich in den Wahnsinn. Was meinen?

Das! Kaum feiert die AfD ihren Höhenrausch, greifen prompt die neoliberalen Marktmechanismen: AfD-Visagen werden auf Titelseiten gehievt, erneut zu ihren Gewinnerthemen in Talkshows eingeladen, etablierte Parteien üben sich in radikal rechter Mimikry bis hin zur christdemokratischen A genda f ür D eutschland. Die abstiegsverängstigte Mittelschicht raunt sich nach Rechtsaußen. Almans unter sich. Läuft bei Euch, AfD!

Also doch: Die Rechten kommen? Nee, sie sind schon lange da! Längst treiben sie die Republik vor sich her, bestimmen die Agenda mit. Die menschenverachtenden Pläne zur Asyl- und Migrationspolitik innerhalb der EU und ein Klima, in dem Pushbacks mit Todesfolge hingenommen werden, sind ohne jede deutsche Regierungsbeteiligung Neurechter zustande gekommen. Rechtspopulistische Anleihen anderer Parteien gegen Klimaschutz und das von der Unionsfraktion aufgesetzte „Bundesprogramm Patriotismus“ sind nur jüngere Beispiele der vielen Panikkäufe populistischer Aktien am rechten Rand.

Politik, Medien und staatliche Institutionen werden (wenn auch schwerfällig) bunter. Vieles aber eben auch brauner

Dabei ist Deutschland doch abgrundtief linksgrün versifft. Wie sähe Almanya bloß ohne diesen links-progressiven Totalitarismus aus? Nee, Volksgenoss:innen, Gendersternchen hin, Wokistan her, rechts wirkt! Natürlich: Deutschland war nie diverser, die offene Gesellschaft ist ein Fakt, deal with it! Politik, Medien und staatliche Institutionen werden (wenn auch schwerfällig) bunter. Vieles aber eben auch brauner, okay, dunkelbeige.

Rechtsextremer Schmarrn im Schädel

Soziologen wie Wilhelm Heitmeyer oder Aladin El-Mafaalani weisen auf die unveränderte Grundmenge der antiliberal eingestellten Personen hin. Parteien vom Schlage der AfD hätten schon seit Jahrzehnten ein Potenzial von rund 30 Prozent, davon ein Drittel rechtsextremen Schmarrn im Schädel.

El-Mafaalani spricht von einer Gesellschaft, die insgesamt zwar immer offener, in der die Radikalen jedoch immer radikaler würden. Heitmeyer mahnt vor einer rohen Bürgerlichkeit, bei der der Begriff Protestwähler inzwischen verharmlosend sei. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Radikalisierungstendenzen der Mitte. „Die Vorstellung, die verloren gegangenen Wähler kämen zurück, wenn man kurz mal die Begriffe der Rechten übernimmt, ist irrig. Jene Mentalitäten, die die Menschen dazu bringen, AfD zu wählen, existierten schon lange vor ihrer Gründung, waren aber parteipolitisch ungebunden. Nun haben sie eine feste Anschlussstelle. Das Gefährliche ist, dass die Übernahme von rechter Rhetorik dazu führt, dass sie sich normalisiert. Und was erst mal als normal gilt, kann nachher kaum noch problematisiert werden.“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Auf diese Normalisierung werden derzeit Berge von Beschwichtigungen geschüttet: „Die Brandmauer steht“, „Hey, solange sie keine Mehrheit hat, kann sie doch nicht regieren“, „Na ja, die Leute wählen sie ja nicht, weil sie Rassisten sind …“

Dieses unverantwortliche Pfeifen im Wald mag einige beruhigen, lässt aber Millionen Menschen allein. Seit Jahrzehnten kämpfen sie an gegen rechten Bullshit, gegen den wachsenden Alltagsrassismus sowie andere Spielarten des Menschenhasses und Demokratieverachtung. Die Frage lautet also nicht nur, wie heute reagiert werden muss, sondern: Welcher Widerstand bleibt, wenn die Werte der AfD wieder sinken – die stille Kontamination aber das nächste Stadium erreicht hat?

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Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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