Libanon und der Nahostkrieg: Hisbollah-Chef meldet sich zu Wort

Hassan Nasrallah spricht sich für den palästinensischen Kampf gegen Israel aus – aber nicht um jeden Preis. Die libanesische Gesellschaft atmet auf.

Hisbollah-Chef Nasrallah bei seiner Fernsehansprache

Nasrallah bei seinem ersten TV-Auftritt seit dem Angriff der Hamas auf Israel Foto: reuters

BERLIN taz | Vier Wochen hatten die Menschen im Libanon seinetwegen im Unklaren gelebt. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte sich ungewöhnlich ruhig verhalten. Normalerweise hält er bei regionalpolitischen Ereignissen vollmundig Reden, in Kriegszeiten sogar wöchentlich. Übertragen werden sie im TV, im Hisbollah-Propagandakanal. Nicht so nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober und der Reaktion Israels darauf.

Zwar hatte der libanesische Ministerpräsident Nadschib Mikati bereits Tage zuvor gesagt, seine Regierung arbeite daran, die israelischen Angriffe zu stoppen und eine Ausweitung des Krieges auf den Libanon zu verhindern. Doch im Libanon weiß man: Es ist Nasrallah, der nie gewählt wurde und kein offizielles Regierungsamt innehatte, auf dessen Worte und Handeln es tatsächlich ankommen würde.

Was dann kam, war ebenso untypisch wie das lange Schweigen zuvor: Nasrallah blieb so zurückhaltend, wie es seine Rolle als Generalsekretär der Partei und Miliz Hisbollah zulässt. „Was an unserer Front geschieht, ist sehr bedeutsam“, sagte er nach einer langen rhetorischen Pause zum Ende seiner Rede. „Für diejenigen, die von der Hisbollah eine offene Kriegsführung fordern, mag das, was an der Grenze geschieht, moderat erscheinen, aber das ist nicht der Fall.“

Anstatt eine neue Front anzukündigen, verwies Nasrallah nun darauf, dass der Krieg „rein palästinensisch“ sei. Die internationale Gesellschaft müsse Verantwortung für Kriegsverbrechen tragen. Er forderte sogar eine humanitäre Feuerpause und das Ende des Krieges in Gaza – ungewöhnliche Töne für eine Miliz, die sich selbst als Widerstandsbewegung gegen den Staat Israel sieht. Deshalb vergaß Nasrallah nicht, gleichzeitig zu betonen, seine Miliz stünde bereit, falls Israel die Gefechte auf libanesische Zi­vi­lis­t*in­nen ausweiten würde.

Erleichterung – und Hohn

Die allgemeine Reaktion im Land auf diese Rede: vor allem Erleichterung. Das war zu merken an den Reaktionen in den sozialen Netzwerken, in denen man viel Spott für den Milizenführer übrig hatte. Dessen Partei hatte mehr schlecht als recht gemachte Trailer vor der Rede produziert, um zu zeigen, dass es die bedeutendste Rede seiner Karriere werden könnte. Dramatische Musik, energische Gesten, starker Mann: Der Auftritt passte nicht dazu.

Die Hisbollah, schiitische Partei und hochgerüstete Miliz zugleich, hat in den vergangenen Jahren deutlich an Rückhalt im Libanon verloren. Ihr wird die Hauptverantwortung für die Explosion von falsch gelagertem Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut im August 2020 zugeschrieben. Seitdem verhindert die Partei jegliche Aufklärung seitens der Justiz. Bereits zuvor steckte das Land in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise. Angaben von humanitären Organisationen zufolge leben mehr als 80 Prozent der Menschen in Armut. Die Inflation bei Lebensmittelpreisen ist eine der höchsten weltweit. Der Großteil der Menschen ist müde von den Sorgen des alltäglichen Lebens. Der Libanon kann es sich nicht nur mental, sondern rein finanziell nicht leisten, in einen Krieg hineingezogen zu werden.

Deshalb sendete der Milizenführer Signale an Israel, die so gelesen werden konnten, dass sich an den derzeit geltenden Gefechtslinien vorerst nichts ändern wird. Bisher kommt es an der Grenze zwischen dem Libanon und Israel zu sporadischen Konfrontationen mit Todesopfern auf beiden Seiten. Die Hisbollah meldete seit dem 8. Oktober mindestens 61 tote eigene Kämpfer. Auf israelischer Seite wurden an dieser Grenze nach Militärangaben seitdem sechs Soldaten und ein Zivilist getötet.

Nasrallah skizzierte natürlich dennoch eine Drohkulisse: Die Operationen an der libanesischen Grenze könnten durchaus zu einem breiteren Krieg führen. „Das ist eine Möglichkeit und das muss der Feind im Auge behalten“, sagte er. Ob die Front ausgeweitet werde, sei abhängig von zwei Dingen – von den Entwicklungen in Gaza und von den Aktionen Israels gegen den Libanon. Er warnte Israel, „unsere Zivilisten nicht zu attackieren“.

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