EU-Gesetz zur Künstlichen Intelligenz: Zittern bei KI-Regulierung

Die Bundesregierung zögert beim Ja zum EU-Gesetz zur Künstlichen Intelligenz. Das könnte das weltweite Vorreiterprojekt zum Scheitern bringen.

Menschenmenge – Gesichtserkennung, das Gesicht einer Person wird mit einem gelben Quadrat markiert

Regulierung der Künstlichen Intelligenz in der EU wackelt, die Grenzen für biometrische Massenüberwachung sollen aufgeweicht werden Foto: Reporters/imago

BERLIN taz | Kurz bevor die europäische Regulierung zu Künstlicher Intelligenz (KI) final verabschiedet werden soll, scheint sie wieder auf der Kippe zu stehen. Wie aus Koalitionskreisen bekannt wurde, soll das FDP-geführte Digital- und Verkehrsministerium bremsen und statt für eine Zustimmung für eine Enthaltung in Brüssel plädieren.

Die Ver­hand­le­r:in­nen von EU-Kommission, Parlament und Rat hatten sich im Dezember auf Regeln für KI, den AI Act, geeinigt. Die Aufmerksamkeit für die EU-Regulierung ist weltweit groß, soll sie doch zur ersten verbindlichen Regelung in diesem Umfang werden.

Doch bereits kurz nach der letzten Trilog-Verhandlungsrunde wurde der mühsam erkämpfte Kompromiss wieder aufgeschnürt: In dem verschriftlichten Entwurf der spanischen Ratspräsidentschaft sind die Grenzen für die biometrische Massenüberwachung von Menschen deutlich aufgeweicht.

Auch in der Fassung des Gesetzestexts, die in dieser Woche geleakt wurde, sind die Überwachungsbefugnisse größer, als die Verhandlungsparteien das im Dezember besprochen hatten. Das Dokument besteht aus knapp 900 Seiten. Wie üblich in diesem Verhandlungsstadium sind die Seiten in vier Spalten aufgeteilt, die jeweils die Position der einzelnen Verhandlungsparteien – Kommission, Rat, Parlament und als vierte Spalte den Kompromissentwurf – wiedergeben.

Die Diskussionen scheinen umfangreich gewesen zu sein, auch im Kompromissentwurf sind Streichungen und Ergänzungen in größerem Umfang zu finden. Und das sogar am Anfang, wo es noch nicht einmal um konkrete Regeln, sondern um das Ziel des AI Act geht.

Überwachungsbefugnisse ausgedehnt

Zu den Punkten, die nun dem Vernehmen nach vor allem in der FDP für Unmut sorgen, sollen die Überwachungsbefugnisse sowie Regeln für Unternehmen gehören. Dabei könnte es um die Vorschriften für besonders leistungsfähige KI-Modelle, die Foundation Models (Basismodelle), gehen. Dazu gehört beispielsweise GPT, auf dem die Anwendung ChatGPT basiert.

Die Basismodelle bilden die Grundlage für zahlreiche weitere Anwendungen. Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing (FDP) hat sich in der Vergangenheit gegen eine verbindliche Regulierung dieser Basismodelle ausgesprochen und mit wirtschaftlichen Vorteilen argumentiert. Ex­per­t:in­nen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft plädieren dagegen für klare Regeln. Diese würden nicht nur Bür­ge­r:in­nen schützen, sondern auch Unternehmen rechtliche Sicherheit bieten.

Tobias Bacherle, Grünen-Obmann im Digitalausschuss des Bundestags, warnte vor einem Scheitern der Regulierung: „Scheitert der AI Act, scheitert der verantwortungsvolle Einsatz von KI in der EU – und scheitert die EU im internationalen Wettlauf und ihrer Glaubwürdigkeit im Kampf um wertebasierte KI-Standards.“ Hinzu komme: Sollten nach der bevorstehenden Europawahl die rechten Parteien stärker vertreten sein, könnten „die bisherigen progressiven Verhandlungsergebnisse so nicht gehalten werden“.

Ein Sprecher des Digital- und Verkehrsministeriums teilte mit, dass man aktuell noch keine endgültige Einschätzung zur Regulierung habe, der Vertragstext werde noch geprüft. Kriterien für die Bewertung seien aber „die Offenheit für Innovationen, ein geringer bürokratischer Aufwand für kleine und mittlere Unternehmen bei einer möglichen Umsetzung und die internationale Anschlussfähigkeit der Regeln“.

Baldige Abstimmung erwartet

Die finale Abstimmung in der EU wird für die kommende Woche erwartet. Wenn nur Deutschland sich enthält, würde das Gesetz noch nicht kippen. Doch für eine Verabschiedung ist eine Zustimmungsquote nötig. Mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, das sind aktuell 15 Staaten mit einer Bevölkerung von mindestens 65 Prozent, müssen mit Ja votieren.

Sollten sich also bevölkerungsreiche Staaten enthalten oder mit Nein stimmen, wäre eine Mehrheit in Gefahr. Und Kritik gab es durchaus: So hatten sich in der Vergangenheit auch Frankreich und Italien gegen eine verbindliche Regulierung der Basismodelle ausgesprochen.

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